Weltkugel Illustration Internetkonzept
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20.05.2021

Mit High Throughput Satelliten und Megakonstellationen in die 6G Ära

VDE Bayern Expertengespräch - Dr. Thomas Delamotte, Preisträger des VDE Bayern Award 2020 - im Interview mit Dr.-Ing. Berthold Panzner, Leiter des VDE/VDI Arbeitskreises Informationstechnik

Dr.-Ing. Berthold Panzer (li), Dr.-Ing. Thomas Delamotte (re)

| VDE/Modl (Panzner), Delamotte

Heutzutage werden Satellitenkommunikationssysteme oft zusammen mit den Schlüsselbegriffen „Very High Throughput Satelliten“ und „Megakonstellationen“ verknüpft. Aber was bedeuten diese Begriffe genau? Und wie können Satelliten dazu beitragen, dass die sogenannte „jederzeit und überall“ Konnektivität in den nächsten 10 Jahren erreicht werden kann?

VDE Bayern stellt dazu drei Fragen an Dr. Thomas Delamotte, Preisträger des VDE Bayern Awards 2020, der für den Arbeitskreis Informationstechnik am 20. Mai 2021 sein Promotionsthema präsentierte.

ZUR PERSON: Dr. Delamotte, Forschungsgruppenleiter an der Universität der Bundeswehr München, koordiniert Forschungsprojekte im Munich Center for Space Communications (MCSC), das sich als Teil des Zentrums für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr (DTEC.Bw) mit Technologien für Satellitenkommunikationssysteme in der 6G Ära beschäftigt.

Für welche Anwendungen wurden Kommunikationssatelliten bis heute eingesetzt?

Es ist bekannt, dass Satelliten seit Jahrzehnten weit verbreitet und äußerst effektiv für die Fernsehübertragung verwendet wurden. Mit einer Orbithöhe von ungefähr 36.000 km sind geostationäre Satelliten besonders dafür geeignet, da sie ganze Kontinente abdecken können und für einen Beobachter auf der Erde scheinbar fest am Himmel fixiert sind. Mit nur einem einzigen Funksignal können Millionen Haushalte gleichzeitig mit Fernsehen versorgt werden – eigentlich eine sehr ressourcenschonende Technik.

Der Markt der Fernsehübertragung war für Satellitenbetreiber daher stets ein sehr rentables Geschäft und ist es auch heute noch. Zugleich hat sich aber das Nutzerverhalten geändert, das Internet wurde zum dominierenden Verbreitungsmedium, welches es den Menschen ermöglicht, Medien orts- und zeitunabhängig zu konsumieren.

Als Antwort auf diese Entwicklung hat die Satellitenkommunikationsindustrie seit den 2000er Jahren mit den sogenannten geostationären High Throughput Satelliten (HTS) eine langsame Trendwende in Richtung Breitbandversorgung gestartet. Der bisherige Vorteil von Satelliten, nämlich, dass sie große Landmassen gleichzeitig „sehen“ können, wird dabei aber zum Nachteil, weil jeder Nutzer seinen individuellen Datenkanal benötigt. Hier werden schnell die Frequenzen knapp, weshalb sich Wissenschaft und Industrie intensiv mit komplexen Verfahren zur Ressourcenoptimierung beschäftigt haben. Mithilfe einer räumlichen Frequenzwiederverwendung kann ein HTS eine Vielzahl von Breitbandzugängen gleichzeitig anbieten und Internetdienste kostengünstig bereitstellen, insbesondere dort wo terrestrische Infrastrukturen nicht vorhanden sind. Der Markt für Breitbandinternet hat in den letzten Jahren stetig zugenommen.

Zu diesem Zweck werden immer leistungsfähigere geostationäre Satelliten gestartet, man spricht heute sogar über Very High Throughput Satelliten (VHTS). Erwähnenswert ist zum Beispiel der für 2022 geplante Eutelsat Konnect VHTS für die Abdeckung von Europa mit einer Gesamtkapazität von 500 Gbit/s oder, vergleichsweise, die Übertragung von mehr als hundert Encyclopedia Britannica pro Sekunde. Neue Akteure aus der sogenannten „New Space“ Industrie, wie z.B. die US-amerikanische Firma Starlink des Technologie-Entrepreneurs Elon Musk versuchen ebenfalls mit Hilfe von Satellitenkonstellationen in niedrigeren Orbitalbahnen, die in circa 500 bis 1.000 km Höhe verlaufen, auf dem Breitbandmarkt Fuß zu fassen.

Diese Megakonstellationen haben den Vorteil, dass sie sehr hohe Datenraten mit geringer Latenz anbieten können, jedoch sind diese Systeme mit bis zu 10 Mrd Euro Investitionsbedarf bei vglw. kurzer Lebenszeit der Satelliten von wenigen Jahren sehr teuer.

Welche Technologien können eine Schlüsselrolle in der Entwicklung künftiger Satellitennutzlasten spielen?

Die heutige Devise in der akademischen und industriellen Forschung im Bereich Satellitenkommunikation ist „Flexibilität und Autonomie“. In einer digitalen Welt, wo das Datenaufkommen sehr dynamisch und unvorhersehbar ist, sollen Satellitensysteme in der Lage sein, automatisch die verfügbaren physikalischen Ressourcen, sei es Zeit, Frequenz oder Raum, flexibel zu allokieren. In diesem Zusammenhang werden On-Board-Prozessoren von hoher Bedeutung sein. Kostengünstige und leistungsfähige digitale Prozessoren sind in unserem irdischen Alltag schon überall vorhanden, angefangen bei unseren Mobiltelefonen.

In der Raumfahrtindustrie sieht die Lage jedoch noch etwas anders aus. Der Weltraum ist eine extrem feindliche Umgebung für die Mikroelektronik weshalb mehrere Jahre an Forschung und Entwicklung notwendig waren, um Lösungen auf den Markt zu bringen, die die Anforderungen künftiger flexibler Nutzlasten erfüllen können. Nun ist es soweit, On-Board Prozessoren werden in den kommenden Jahren zur Standardausrüstung von modernen Satelliten gehören.

Aktive Antennen sind hier ebenfalls von zentraler Bedeutung, damit die Nutzung räumlicher Ressourcen tatsächlich optimiert werden kann. Im Vergleich zu früheren Systemen, wo Ausleuchtungszonen von Beginn an festgelegt waren, sollen in Zukunft Satelliten die abgedeckten Regionen beliebig anpassen können. Nur so können Ressourcen den geographischen Regionen zugewiesen werden, wo sie auch tatsächlich gebraucht werden. Die Phased Array Antennen Technologie, die eine Vielzahl von synchronisierten Strahlelementen ausnutzt, um die Richtcharakteristik zu beeinflussen, wird diese Entwicklung dominieren.  

Wie werden die Satellitennetzwerke der Zukunft aussehen?

Bis vor kurzem haben terrestrische Netze und Satellitensysteme sich komplett unabhängig voneinander entwickelt. Im Zeitalter der Digitalisierung und der „jederzeit und überall“ Konnektivität beobachten wir aber einen deutlichen Paradigmenwechsel. In künftigen Netzen werden terrestrische Infrastrukturen und Satelliten sich gegenseitig ergänzen und zusammen neue Dienste und eine neue Kommunikationsqualität anbieten können.

Dieses Zusammenwachsen hat bereits mit der Standardisierung des neuen 5G Mobilfunkstandards wesentliche Schritte nach vorne gemacht. Der Weg zu vollständig integrierten Satellitennetzen ist aber noch lang. Diese Konvergenz wird voraussichtlich in 10 Jahren im Rahmen des 6G Standard realisiert. Bis dahin wird im Weltraum ein regelrecht „intelligentes“ Netzwerk aufgebaut, welches Kapazitäten von Satelliten in unterschiedlichen Umlaufbahnen optimal nutzt.

Inter-Satelliten-Verbindungen werden insbesondere weit verbreitet eingesetzt, um Datenrouting direkt im Raumsegment zu ermöglichen. Künstliche Intelligenz/Maschinelles Lernen (KI/ML) wird auch eine entscheidende Rolle spielen, um das effiziente Management eines solchen hochkomplexen Systems sicherzustellen. Mit den Netzwerken der nächsten Generation wird ein breites Spektrum an Anwendungen unterstützt, von Breitband-Internet, Inflight-Entertainment oder Traffic Offload bis hin zum Internet der Dinge für die Landwirtschaft, die Logistik oder die Industrie.