Wasserstoff Innovation und Energie
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24.11.2021

Energie- und Hoffnungsträger? Wasserstoff als Schlüssel zur Defossilisierung

Zum VDE Bayern Online Tec Lunch war Andrea Appel, VDE Projektmanagerin Wasserstoff, im Herbst 2021 zu Gast. Thema waren die grundsätzlichen Einsatzmöglichkeiten von Wasserstoff und verschiedene Herstellungswege, dabei wurden einige Hürden in den verschiedenen Bereichen besprochen. Auch die vieldiskutierte Wasserstoffherkunft und der Konflikt zwischen netzdienlichem Einsatz und optimaler Wirtschaftlichkeit wurden thematisiert.

Fragen zu weiteren wichtigen Aspekten werden in diesem Artikel diskutiert.

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H2 ist das kleinste und häufigste Element unseres Universums und wird als Energieträger der Zukunft gesehen. Seine Energiedichte, die mit 120 KJ/g alle uns bislang bekannten elektrischen Speichermöglichkeiten um mindestens zwei Größenordnungen übertrifft, macht Wasserstoff als Energieträger sehr attraktiv. Ergänzend zur direkten Elektrifizierung kann Wasserstoff der langgesuchte Schlüssel für die weltweite Defossilisierung der Sektoren sein. Die Herausforderungen dieses Wandels sind groß – die Chancen allerdings auch. Seit Jahrzehnten etablierte und optimierte Produktionsmethoden müssten angepasst oder komplett neu gedacht werden.

Dekarbonisiert oder defossilisiert Wasserstoff das Energiesystem?

Andrea Appel: Der Begriff Dekarbonisierung steht im Kontext der Energiewirtschaft für eine (weitestgehende) Reduktion kohlenstoffhaltiger Emissionen. Es ist naheliegend, die Dekarbonisierung durch den Verzicht auf kohlenstoffhaltige Energieträger zu erreichen. In der Praxis lassen sich jedoch manche Sektoren nicht ohne Weiteres auf kohlenstofffreie Energieträger umstellen. Im Flugverkehr, zum Beispiel, ist der reine Wasserstoffantrieb schwierig umzusetzen. Nach heutigem Stand sollen daher synthetisch aus Wasserstoff und Kohlenstoff aus der Kreislaufwirtschaft hergestellte Kohlenwasserstoffe, sogenannte e-Fuels, eingesetzt werden.

Der Begriff Defossilisierung überschneidet sich mit der Dekarbonisierung dahingehend, dass die Freisetzung kohlenstoffhaltiger Emissionen verringert werden soll. Im Detail betrachtet zielt die Defossilisierung auf den Verzicht der Nutzung fossiler Energieträger ab, sodass aus dieser Quelle kein zusätzlicher Kohlenstoff freigesetzt wird. Bereits im Kreislauf befindlicher Kohlenstoff darf dagegen weiter genutzt werden und sollte möglichst weiter im Kreis geführt werden. In der Carbon Management Studie Nordrhein-Westfalen wird es wie folgt beschrieben: „Herausforderungen im Zuge der Transformation bestehen sowohl darin, vermeidbare CO2-Mengen auf null zu reduzieren und Lösungen für den klimaneutralen Umgang mit unvermeidbaren CO2-Mengen zu finden, als auch den weiter bestehenden Kohlenstoffbedarf in einer klimaneutralen Wirtschaft möglichst ohne fossile Rohstoffe zu decken.“ (Zitat Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie NRW 57).

Wasserstoff besitzt das Potential, sowohl die Dekarbonisierung als auch die Defossilisierung der Energiewirtschaft voranzutreiben. In vielen Bereichen können kohlenstoffhaltige Energieträger bzw. Reaktanten direkt durch Wasserstoff ersetzt werden, was einer Dekarbonisierung gleichkommt. Wo ein Verzicht auf kohlenstoffhaltige Energieträger nur schwer möglich ist, können diese mittels Wasserstoffes aus bereits im Kreislauf befindlichem Kohlenstoff hergestellt werden und so die Defossilisierung vorantreiben. Ein Schlüsselfaktor dafür ist allerdings, dass der genutzte Wasserstoff mithilfe erneuerbarer Energien gewonnen wurde. 

Welche Rolle spielen Geodaten-Analysen in der Wasserstoffwelt?

Andrea Appel: Da die Energieversorgung voraussichtlich noch mehr internationalisiert wird und vor allem, weil durch Wasserstoff das Zusammenspiel vieler verschiedener Infrastrukturen auf begrenztem Raum einwandfrei laufen muss, sind Geodaten wichtig für eine nachhaltige und bedarfsgerechte Infrastrukturplanung. Darüber hinaus wird Europa nicht mehr nur auf einige wenige Hauptenergielieferanten zurückgreifen müssen wie bisher, sondern eher „die Qual der Wahl“ haben. Studien untersuchen seit einiger Zeit vermehrt die Potentiale und Abwägungen verschiedener Zuliefererländer auch anhand von Karten, um Standortpotentiale aufzuzeigen. In Europa müssen die verfügbaren Flächen und Potentiale effizient und nachhaltig (im Sinne der 17 Sustainable Development Goals) miteinander verbunden werden. Es geht dabei um Flächen- und mengenmäßig sowie qualitativ hohe Süßwasserverfügbarkeit, Verortung und Abstimmung von Energiebedarf und Erzeugungspotential und das in Einklang bringen mit Infrastrukturbauwerken.

Sind die Menschen „Wasserstoff-ready“ – ist das notwendige Wissen vorhanden, um sicher mit den Technologien umzugehen?

Andrea Appel:  In einigen Bereichen sind die Menschen den Umgang mit Gasen durchaus gewohnt. Gerade in Deutschland haben viele Häuser einen Erdgasanschluss. Prinzipiell ist auch bekannt, wie mit Wasserstoff umgegangen werden muss. Wenn es allerdings darum geht, neue Technologien wie Brennstoffzellen in der Breite zu etablieren – das heißt Massenfertigung und täglichen Umgang herbeizuführen – kann nicht davon ausgegangen werden, dass das nötige Wissen überall vorhanden ist. Es fängt schon bei Berufen wie Busfahrerinnen und Busfahrern sowie Installateurinnen und Installateuren für Gas und Wasser an, die auf eine neue Technologie geschult werden müssen. Auf der Herstellungsseite müssen Mitarbeitende geschult werden und auch im Verwaltungsbereich müssen die Genehmigungsverfahren neuer Technologien erlernt bzw. Mitarbeitende auf künftige Änderungen vorbereitet werden. Aufgrund des agilen Umfelds ist von einem fortwährenden Schulungs- bzw. Auffrischungsbedarf auszugehen Der genaue Umfang ist noch nicht gänzlich bekannt, jedoch ist die Erfassung des Bedarfs essenziell, um den Markthochlauf im angedachten Zeitrahmen umsetzen zu können. Darüber hinaus geht es auch darum, Wissen zu teilen – ebenfalls mit dem Ziel, schnell von guten Lösungen zu lernen.